Ist Drachenzähmen leichter als Klappe halten?

Wenn du nichts Nettes zu sagen hast, dann sag lieber gar nichts – das haben wir wahrscheinlich alle irgendwann mal als guten Ratschlag mitbekommen. Nicht, dass ich etwas gegen konstruktive Kritik hätte! Und natürlich darf auch jeder eine Meinung haben und die formulieren. Aber gerade dann, wenn man weiß, dass die eigene Meinung oder Rückmeldung eine andere Person verletzt, kann es doch ganz gut sein, wenn man sich zurückhält.

Was ich eigentlich sagen wollte: Wenn kleine Krawallbrüder meinem Kind in der Schule sagen, sein neues Shirt, über das er sich riesig gefreut hat, sei für Mädchen und deshalb sei er auch ein Mädchen, dann ärgert mich das auf mehreren Ebenen: Erstens ist Mädchen sicherlich kein Schimpfwort – sagt aber einiges über das Frauenbild, das diese Jungs daheim vermittelt bekommen, aus… Zweitens ist es einfach Kacke, dass sie ihm die Freude an dem Shirt verdorben haben. Welches “Mädchen”-Shirt sie hier meinten? Das hier:

Raglanshirt nach Klimperklein in Breite 128 und Länge 134, der Jersey mit dem Ohnezahn-Motiv ist von Stoffe Hemmers.

Wie, ihr habt jetzt pink mit Einhörnern und süßen Feen oder so erwartet (was selbstverständlich auch okay wäre!!!)? Nö. Aber auf dem Shirt sind nicht nur Hicks und Ohnezahn sondern es ist auch ASTRID abgebildet. Und Astrid ist ein Mädchen, deshalb wird mein Kind in der Meinung seiner fiesen Klassenkameraden durch das Tragen dieses Shirts sofort selbst zum Mädchen. Verrückt? Finde ich auch!

Ein Shirt für einen Abenteurer. Das Label am Ärmelsaum ist von Juno Design.

Mein Kind liebt die Hörspiele zu den Drachenzähmen leicht gemacht-Filmen. Auch die Filme haben wir uns dieses Jahr angeschaut, die sind wirklich toll. Und Astrid ist ein so starke und positive Figur in dieser Geschichte – klug, mutig, witzig, selbstbewusst, eine tolle Anführerin und eine treue Freundin. So wie Astrid zu sein, dafür muss sich bestimmt niemand schämen, egal ob Mädchen, Junge oder irgendwo im Spektrum dazwischen.

Für das beste Kind aller Zeiten. Auch dieses Label in der Seitennaht ist von Juno Design.

Mein Kind war zunächst ziemlich enttäuscht, dass er so angegangen wurde. Es war auch nicht das erste Mal, dass es zu solchen Vorfällen kam. Dieselbe Gruppe Jungs hatte ihn auch schon ausgelacht, weil er mit den Mädchen in der Klasse befreundet ist und mit ihnen spielt statt das offensichtlich beliebte Spiel “Mädchen-Jagen” mitzumachen. Ich frage mich, was in den Köpfen dieser Jungs vorgeht? Und bei ihnen Zuhause? Klar schaukelt sich das gegenseitig hoch, aber das müssen diese Jungs doch auch von Zuhause mitgebracht haben. Wird dort abfällig über Mädchen und Frauen gesprochen? Bekommen sie eine männlich-dominante und Frauen herabwürdigende Haltung vorgelebt? Wie werden Jungs bereits im Kindergartenalter (ja, da hat das schon angefangen mit dieser Gruppe…) zu solchen fiesen Machos?

Den Streberstreifen im Nacken übe ich nach wie vor. Es gelingt mir nicht perfekt, wird aber jedes Mal besser 🙂

Das Shirt wollte mein Kind auf jeden Fall erst einmal nur noch am Wochenende und in den Ferien anziehen oder zumindest nur unter den Pulli und auch nur, wenn kein Sportunterricht auf dem Stundenplan steht. Ich kann das gut verstehen und habe ihm auch gesagt, dass das vollkommen in Ordnung ist, wenn er sich so entscheidet. Ich bin aber sehr stolz auf ihn, dass er nach ein paar Nächten drüber schlafen beschlossen hat, dass es ihm egal ist, was die Anderen sagen. Er zieht das Shirt jetzt trotzdem an, es gefällt ihm, er mag die Geschichte um die Drachenreiter und er mag auch Astrid. Und glücklicherweise wurde er bislang auch nicht wieder geärgert wegen des Shirts. Sei es, weil die Jungs erkannt haben, dass sie mein Kind deshalb nicht mehr wirklich ärgern können oder auch, weil sie jetzt gerade ein anderes Thema haben. Froh macht mich das trotzdem.

Was mich aber übrigens noch sehr viel positiver stimmt: Es gibt auch Eltern, die ihre Kinder dazu erziehen, für andere einzustehen und sich gegen die Bullys zu stellen. Eine Mutter, die (mehr zufällig) mitbekommen hatte, dass mein Kind geärgert wurde wegen seines Shirts, hat sich mit mir zusammen geärgert und gleich gesagt, dass sie ihr Kind dazu anhalten wird, sich aktiv gegen dieses Verhalten zu stellen. Ich bin ihr dafür so dankbar!

Beim Mobbing – oder Bullying, wie es in Schulen eher bezeichnet wird – gibt es nicht nur Täter*innen und Opfer sondern auch eine sehr wichtige dritte Gruppe: die Mitläufer*innen. Dass sie – und nebenbei auch Lehrer*innen, Eltern und andere Erwachsene an der Schule – wegschauen, die Täter*innen gewähren lassen, schafft ein Umfeld, in dem Mobbing erst möglich wird. Das erfolgreiches Olweus-Programm gegen Mobbing an Schulen setzt daran an, dass Mobbing-Verhalten auf keiner Ebene geduldet wird und dass alle, insbesondere auch die Mitschüler*innen, aufeinander achten. Es gibt keine typischen Opfer, die Schuld sollte bei den Täter*innen gesucht werden (ja, nach einem etwas krasseren Vorkommnis hatte mir eine Mutter, mit der ich das Gespräch gesucht habe, auch schon geraten, mein Kind mal untersuchen zu lassen, da ja offensichtlich was mit ihm nicht stimme, wenn er von den anderen häufiger geärgert wird…). Und deshalb ist es wirklich wichtig, dass wir unsere Kinder darin bestärken, aufeinander zu achten und sich für diejenigen, denen ein Unrecht geschieht, einzusetzen. Ihnen klar zu machen, dass es falsch ist, Andere herabzuwürdigen und ihnen körperlich oder seelisch weh zu tun und dass das Problem hier immer bei demjenigen liegt, der das falsche Verhalten gezeigt hat. Akzeptanz und Toleranz gegenüber Fehlern oder dem Anderssein ist wichtig und richtig, Akzeptanz gegenüber absichtlich regelverletzendem Verhalten ist aber nicht angebracht.

So, das nächste Mal geht es dann wieder um was Genähtes. Aber das musste jetzt mal raus. Danke fürs Mitlesen 🙂


Das T-Shirt und die Gedanken schicke ich noch hierhin:

4 Kommentare

  1. Nähkäschtle

    Liebe Jana,
    wie gut, dass dein Kind daheim und auch von anderen Kindern (Freunden!) und deren Eltern den Rücken gestärkt bekommt. Und es ist genau richtig dies auch zu thematisieren. Wir haben unserem Sohn bei einer solchen Krise im Kindergarten auf den Weg gegeben immer zusammen zu stehen und dass nur Kinder seine Freunde sind, die immer zu ihm stehen. Zusammen ist man immer stärker und das hat er sehr verinnerlicht und ich freue mich sehr darüber, dass diese alten Kindergartenbande jetzt auch in der Schule noch seit Jahren halten, auch wenn sich die Jungs entwickeln und auch andere Freunde finden. Ich persönlich habe immer darauf geachtet, dass mein Sohn auch “Mädchenspielzeiten” ausmacht und sie zu Geburtstagen einlädt etc. Im Moment sind die Bande nicht mehr so eng, aber er mag sie trotzdem sehr und in der Schule machen sie auch Sachen zusammen, tauschen Bücher und sitzen teils nebeneinander.
    Leider erlebe ich in meinem Beruf diese Situationen sehr oft: sowohl das Mädchen-Jungs-Thema als auch dieses ärgern einzelner Kinder durch die vermeintlich den Ton angebenden. Beides geht mir total gegen den Strich. Wichtig ist nur, Kinder stark zu machen, damit sie ihren Weg gehen können. Jedes ist genau richtig wie es ist. Und leider muss man sagen, Kinder orientieren sich in dieser Hinsicht extrem am Vorbild der Eltern und das lässt dann oft tief blicken, was andere Haushalte angeht. Gerade in dem Alter. Und Klamotten, die sie mögen, sind neben Frisuren und Hobbys die harmlosen Dinge, bei denen sie sich ausprobieren und ihr Ding finden können. Mein Sohn zieht seine quietschbunten, tierischen Shirts und Pullis auch in die Schule an, dazu rote und grüne Hosen – wie er gerade lustig ist und das finde ich auch gut so. Nur der Wunsch nach coolen Hemden … hmm, da muss er erst bügeln lernen :-).
    Ich wünsch dir starke Kinder !
    Liebe Grüße Ingrid

    • tantejana

      Liebe Ingrid,
      vielen Dank! Ja, es ist einfach schade, zu erleben, dass das Kind für das, was wir ganz besonders an ihm schätzen – Individualität, die Fähigkeit, Freundschaften zu schließen und zu pflegen – gehänselt wird. Es ist schön, dass dein Sohn gelernt hat, zwischen echten Freunden und denen, die von ihm erwarten, dass er sich verbiegt, um dazuzugehören, unterscheiden kann. Wir versuchen auch, unser Kind da zu stärken. Ich glaube, auch die Erkenntnis, dass das Problem nicht bei ihm, sondern bei den anderen liegt, hilft, mit solchen Situationen umzugehen. Angenehm ist das aber trotzdem nicht…
      LG und alles Gute
      Jana

  2. nealich

    Liebe Jana, jetzt habe ich gerade Deinen Post gelesen und Ingrids Kommentar dazu und sitze hier sehr betroffen… Ich selbst bin auch irgendwie betroffen, denn solche Vorfälle gibt es leider viel zu viele und die verantwortlichen Eltern/Erzieher/Erwachsene schauen viel zu oft weg und/oder hören nicht richtig zu.
    Meine Enkelin wurde kürzlich in der Schule als Lügnerin bezeichnet, weil sie aus Südafrika kommt und keine schwarze Haut hat. Ist das zu glauben? Sowas macht mich wütend…
    Wir müssen unbedingt zu unseren Kindern stehen und sie stark machen in ihrer Haltung, Ingrid und Jana und allen anderen Eltern und aufmerksamen Erwachsenen/Erziehern ein großes DANKE für Euren Einsatz!
    Liebe Grüße
    Katrin

    • tantejana

      Liebe Katrin,
      “Kinder sind grausam”, sagt man ja oft. Und wie auch Ingrid geschrieben hat: Wahrscheinlich liegt es daran, dass die Kinder recht ungefiltert das weitergeben, was sie Zuhause erleben und wahrnehmen. Schade finde ich tatsächlich auch, dass die Erwachsenen zu oft wegschauen und damit auch nicht korrigieren. 🙁
      LG und alles Gute auch deiner Enkelin, damit sie nicht noch öfter so blöde Reaktionen erlebt! Jana

Ich freue mich über deinen Kommentar!

%d Bloggern gefällt das: